Basisdefinitionen

Musikalische Terminologie definiert in der Art der Tropenontologie eine Grundklasse aus Eigenschaften, aus denen musikalische Dinge (Akkorde, Intervall, Tonhöhe, Metrum, etc…) konstituiert werden (im Gegensatz zu traditionellen Ontologien, die Dinge postuliert, die Träger von Eigenschaften sind): Gegenstände sind eine Ansammlung von Eigenschaften. Eigenschaften haben den Charakter von Massentermini (Wasser, rot….)

Orte von Eigenschaften sind

  • Der echtzeitliche physikalische Raum (Φ-Universum): Physikalische Sinnesdaten (eintreffend am Trommelfell). Eigenschaften im physikalischen Raum sind physikalisch messbar. Im echtzeitlichen physikalischen Raum finden sich Eigenschaften und Dinge.

Frage:
Sind Zeitpunkt und Dauer eines musikalischen Gegenstandes Eigenschaften im Φ-Universum? Wären Metrum und Rhythmus Eigenschaften im Φ-Universum? Oder sind Zeitpunkt und Dauer eines musikalischen Gegenstandes im kantischen Sinne «Bedingungen der Möglichkeit» des Gegenstandes und damit nicht wahrgenommene Eigenschaften?

  • Der echtzeitliche phänomenologische (psychologische) Raum (Ψ-Universum): Phänomenologisch Wahrgenommenes (im Gegenwartsfenster Gehörtes. Eigenschaften im phänomenologischen Raum sind nicht physikalisch messbar, haben aber introspektive sinnliche Realität (zum Beispiel der Tonstufencharakter eines Tones oder die Leittönigkeit eines Tones). Im phänomenologischen Raum gibt es keine eindeutige Metrik und bloss eine fragmentarische Ordnung. Er ist jedoch über verbale Beschreibungen von Hörern der Erfoschung zugänglich. Wir gehen mal davon aus, dass im echtzeitlichen phänomenologischen Raum Dinge nur als Komposita von Eigenschaften existieren. Das heisst, Objekte im phänomenologischen Raum sind bloss Bündel von Eigenschaften. Würde man Ψ-Objekten einen eigenständigen ontologischen Status zusprechen, wäre man gezwungen, eine idealistische Ontologie zu akzeptieren.  

Fragen:
Muss man im Kürzestgedächtnis eidetisch Festgehaltenes (Ε-Universum) ebenfalls zum Ψ-Universum rechnen und es damit kategorisch vom physisch vorhandenen Erinnerungsraum abgrenzen?
Das ontologische Verhältnis zwischen den Dingen im echtzeitlichen physikalischen Raum und den Dingen im echtzeitlichen phänomenologischen Raum ist unklar. Sind Identischsetzungen zwischen ihnen möglich?

  • Der physisch vorhandene Erinnerungsraum (Μ-Universum): Darin findet sich gespeichertes Wissen über Sinnesdaten in der Vergangenheit und Weltwissen. Erinnerungen müssen ein physisches Korrelat haben, auch wenn dessen Beschaffenheit noch völlig unerforscht ist. Ebenfalls völlig unklar sind die Prozesse der Umwandlung von Erinnerungen in Eigenschaften im echtzeitlichen phänomenologischen Raum.
  • Der Raum abstrakter Relationen zwischen Eigenschaften (Α-Universum). Sie haben vermutlich keine Sinnesqualität. Sie haben aber vermutlich in noch unbestimmten Arten Einfluss auf die Wahrnehmung im echtzeitlichen phänomenologischen Raum.
    Eine abstrakte Relation kann sein: Ton a(t1) ist eine Quarte höher als Ton b(t2), wobei Ton a(t1) relativ weit in der Vergangenheit des aktuellen Echtzeitfensters liegen kann. Man kann für den Raum abstrakter Relationen sinnliche Eigenschaften postulieren, die Relationen sind zwischen einem erinnerten Ding und einem Ding im echtzeitlichen phänomenologischen Raum. Sie fliessen in das Hörerlebnis des «kompetenten Hörers» ein, ohne dass klar ist, welche Mechanismen dahinter stecken.

Erster Schritt: Das Modell zur Beschreibung von Musik nimmt das Ψ-Universum als Basis und fragt sich, wo sich die Eigenschaften der darin vorfindlichen Gegenstände ansiedeln.

Zweiter Schritt: Das Modell klassifiziert und unterscheidet musikalische Eigenschaften ontologisch. Ein Ton ist z.B. ein Gegenstand (qua Bündel von Eigenschaften) und eine Melodie ist ein Gegenstand (qua Bündel von Eigenschaften), ein Rhythmus hingegen nicht. Rhythmen sind nicht Eigenschaften von solchen Gegenständen.

Dritter Schritt: Im Modell stellt sich die Frage, wo die hierarchisch höheren «Gegenstände» (Melodien, Rhythmen etc.) materiell vorgefunden werden. Man kommt da zurück auf eine Leibniz-Aussage («Musik ist ein unbewusstes Zählen der Seele). Das heisst, Voraussetzung für das Verstehen des Musik-Erlebens ist ein Verständnis für die Ontologie abstrakter Eigenschaften.

Musik, Komposition, musikalischer Gegenstand

Strawsonsches akustisches Universum

In seinem einflussreichen Buch Universals hat P.F. Strawson die Möglichkeit durchgespielt, ein Universum aus akustischen Erfahrungen zu konstruieren. Ein solches ist nicht physikalistisch und wird nicht von materiellen Körpern bevölkert, es ist pänomenalistisch. Damit hat Strawson einen Rahmen geliefert, in dem eine Ontologie der Musik modelliert werden kann.

Strawsons Überlegungen führen uns zur Frage, ob die Erfahrung eines musikalischen Raumes ausserhalb der erlernten Erfahrung des realen Raumes überhaupt möglich ist und wie sich eine solche Erfahrung qualitativ von der Erfahrung des physikalischen Raumes unterscheiden würde. Die Frage ist insofern von praktischer Bedeutung, als wir davon ausgehen können, dass die erste Erfahrung des werdenden Menschen den Hörsinn betrifft, ohne dass sich bereits eine Vorstellung des physikalischen Raumes gebildet hätte. Wir können also Vermutungen darüber anstellen, welcher Art die weltkonstituierenden akustischen Erfahrungen Ungeborener sein müssen.

Def := Musik

Wir gehen von der intuitiven Vorstellung aus, dass alle akustischen Abläufe mit dem Terminus «Musik» bezeichnet werden, die einen virtuellen akustischen Raum errichten[1]. Technisch gesehen ist ein Musikstück (eine «Komposition» K) eine Kollektion musikalischer Gegenstände, die einen solchen Raum errichten. Die Theorie einer Komposition (TK) ist eine Liste aller ihrer Eigenschaften, Objekte und Regeln der Objektkonstitution. TK wird auch als «musikalisches Universum» bezeichnet.

Musikalische Universen sind die Vereinigung zweier Teiluniversen: zum einen die Menge aller physikalisch beobachtbaren Eigenschaften (Φ-Universum), zum andern die Menge aller Eigenschaften als Folge mentaler Konstruktionen (Ψ-Universum).

Def := Grundgegenstandsbereiche eines Musikuniversums

Der Grundgegenstandsbereich eines musikalischen Universums kann je nachdem definiert werden als die Menge aller nicht weiter zerlegbaren Eigenschaften in dem Universum oder als die Menge aller Objekte des Universums, die sich innerhalb des Universums nur in Eigenschaften zerlegen lassen[2].

Def := Φ-Universum

Ein Φ-Universum ist eine Menge von Eigenschaften, die sich physikalisch messen lassen und die von ausserhalb des Körpers die Sinnessysteme eines Körpers reizen. Dies ist noch keine formale, sondern eine informelle Definition. Wir beschränken die Eigenschaften für unsere Modell auf die MIDI-Daten Dauern (t), Frequenzen (f), Einsatzpunkte (Onset Point, OnP), Endpunkte (Offset Point, OfP), Lautstärke (A).

Def := Ψ-Universum

Ein Ψ-Universum ist eine Menge von Eigenschaften, die mental als Qualia wahrgenommen werden und der daraus mental konstruierten Gestalten. Auch dies ist noch keine formale, sondern eine informelle Definition.

Eigenschaften

Es gibt musikalische sinnvolle und unsinnige Relationen. Eine postulierbare, aber unsinnige Eigenschaft ist etwa, dass die Hauptmelodie einer Komposition nicht identisch ist mit der Anzahl Blätter einer Birke südlich von Wladiwostok. Eine Theorie der ME (Musikalische Eigenschaft) definiert für eine K (Komposition) genau, welche ME prinzipiell sinnvoll sind und welche für die TK systemrelevant gelistet werden müssen.

Def := Φ-Eigenschaft

Nimmt man MIDI-Daten für eine K zum Ausgangspunkt, dann ist eine Musikalische Φ-Eigenschaft (MEΦ)  entweder ein Element aus den Klassen

  • Dauern (t)
  • Frequenzen (f)
  • Einsatzpunkte (Onset Point, OnP)
  • Endpunkte (Offset Point, OfP)
  • Lautstärke (A)

oder eine beliebige mehrstellige Relation zwischen Elementen dieser Klassen und/oder eine Relation zwischen mehrstelligen Relationen.

Def := Ψ-Eigenschaft

In Ψ-Universen muss unterschieden werden zwischen einer abstrakten Theorie der Ψ-Eigenschaften und der Beschreibung der empirisch erforschbaren Ψ-Eigenschaften einer K. Empirisch erforschbar bedeutet nach dem heutigen Stand der Psychologie Introspektion, beziehungsweise Befragen von Versuchspersonen.

Klasse der abstrakten Ψ-Eigenschaften ⊇ Klasse der empirisch erforschbaren Ψ-Eigenschaften.

 

Def := Musikalischer Gegenstand (MG)

Wir unterscheiden zwischen Elementaren Musikalischen Gegenständen (MG0, MG der Herarchiestufe 0) und Gegenständen, die kognitiv aus MG0 konstruiert werden (MGi, Musikalische Gestalten). Eine Typologie der MGi ist (mutmasslich) eine komplexe, verschränkte Struktur, in der sich Hierarchiebenen nicht linear trennen lassen (d. h. es gibt MGi, die sich aus MGj mehrerer Hierarchiestufen zusammensetzen).
MGi mit i > 0 existieren nur in Ψ-Universen (siehe unten). Geklärt werden müssen diese Strukturen mit einer eigenen Theorie der musikalischen Gestalt-Typologien.

Identität musikalischer Gegenstände

Wird noch offen gelassen. Basis wird aber eine lebnizsche Identitätsdefinition sein.

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[1] siehe Einleitung

[2] zur Identität akustischer Objekte siehe die interessanten Überlegungen von P. F. Strawson im zweiten Kapitel von P. F. Strawson: Individuals. An Essay in Descriptive Metaphysics, Routledge, London (first published 1959)